5. Mai 2015
Bewerbermanagement – Jeder Kontakt zählt!
Autor: Peter Ilg, Journalist
Im Bewerbungsverfahren lernen Kandidaten, wie Unternehmen ticken und wie Mitarbeiter dort behandelt werden. Und wenn sich ein Bewerber die Stelle aussuchen kann, geht er dorthin, wo er seine beruflichen Ziele am besten verwirklichen kann und wo er sich wohl gefühlt hat. Leider sind in Deutschland nur vier von zehn Bewerbern mit den Erfahrungen zufrieden, die sie während des Bewerbungsprozesses mit dem Unternehmen gemacht haben. Im Umgang mit potentiellen Mitarbeitern und bei den ersten 90 Tagen im neuen Job besteht also noch ordentliches Verbesserungspotential.
Der Mittelstand ist der Jobmotor der IT-Branche. Gut jeder zweite Beschäftigte in diesem Wirtschaftszweig arbeitet in einem mittelständischen Unternehmen. Die meisten Firmen haben weniger als zehn Mitarbeiter, nur wenige 500 und mehr, teilte der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, kurz BITKOM, in seinem Mittelstandsbericht im vergangenen Herbst mit. Die Befragung unter den Mitgliedsunternehmen zeigt unter anderem, dass etwa zwei Drittel der IT-Mittelständler in diesem Jahr zusätzliche Arbeitsplätze schaffen wollen. Nur sieben Prozent gehen von einem Stellenabbau aus.
Vorteil Ballungszentrum
Dem Bericht zufolge stehen die mittelständischen Unternehmen wirtschaftlich solide da. Wer einen verantwortungsvollen Job mit Perspektive und Sicherheit sucht, ist dort gut aufgehoben. „Die mittelständischen IT-Unternehmen sind meist dort, wo ihre Kunden sind“, sagte BITKOM-Vizepräsident Ulrich Dietz bei der Vorstellung des Berichts. Ein Teil dessen ist der Mittelstandsatlas. Der zeigt die regionale Verteilung des IT-Mittelstands in Deutschland. Ballungszentren wie Berlin, Hamburg, München, Stuttgart, das Rhein-Main-Gebiet und das Ruhrgebiet weisen die größte Dichte auf.
Die Zukunft ist da, wo junge Menschen sind – das sind Universitätsstädte und Ballungszentren. Dorthin zieht es die junge Generation, berichtet die ‚WirtschaftsWoche‘ unter Berufung auf Berechnungen des Sozialforschungsinstituts Empirica. Die Standorte sind schon mal ein Vorteil vieler IT-Mittelständler, um neue Mitarbeiter zu finden. Und auch die Internationalität des Mittelstands: sechs von zehn mittelständischen Unternehmen erzielen auch im Ausland Umsätze. Auch Globalität ist jungen Leuten wichtig. Dennoch wollen die meisten Informatik-Absolventen am liebsten zu großen, bekannten Unternehmen. Google, SAP, Microsoft sind unter den Top-Five im IT-Absolventenranking des Forschungsinstituts trendence, Berlin. Jedenfalls ist der Fachkräftemangel im Mittelstand groß. 80 Prozent der offenen oder schwer zu besetzenden Stellen für IT-Spezialisten in der Branche befinden sich laut BITKOM bei mittelständischen Unternehmen. In Summe sind das 13.000 Stellen.
Bewerbungsabbrüche kommen häufig vor
„Unternehmen sind gut beraten, wenn sie sich im Bewerbermanagement von ihrer besten Seite zeigen“, sagt Martin Vesterling, Inhaber der gleichnamigen Personalberatung mit Zentrale in München und Niederlassungen in Köln und Hamburg. Er zählt gleich vier Gründe dafür auf, weshalb Candidate Experience Management so wichtig ist. „Gute Erfahrungen, die Bewerber während ihres ersten Kontakts mit Unternehmen machen, verbessern die Chancen, Top-Kandidaten zu rekrutieren. Zweitens können Bewerbungsabbrüche reduziert werden – das kommt öfter vor als man vermutet, weil die Bewerber unter mehreren Optionen wählen können. Drittens sichert ein stimmiger Bewerbungsprozess die Reputation des Arbeitgebers – gerade über Negativerlebnisse wird unter Arbeitnehmern viel gesprochen und Bewerber teilen ihre Erfahrungen auf Arbeitgeber-Bewertungsportalen wie Kununu mit.“ Als vierten nennt Vesterling wirtschaftliche Gründe: ein ordentliches Bewerbermanagement führt schneller zum Erfolg als ein schlecht koordiniertes, wegen dessen mehrere Bewerbungsprozesse geführt werden müssen. Andererseits bleibt das Unternehmen auch den Kandidaten, die sich für eine andere Firma entschieden haben, in guter Erinnerung. Das kann perspektivisch hilfreich sein.
Die wichtigsten Touchpoints
Leider ist die Praxis eine ganz andere. Im Workforce Index 2014 wurden 230.000 Kandidaten in 31 Ländern zu ihren Erfahrungen beim Einstellungsverfahren und Onboarding befragt. Die Ergebnisse sind aufrüttelnd. Nur jeder Zweite war mit seinen jüngsten Erfahrungen als Bewerber zufrieden. In Deutschland waren es nur 40 Prozent. Am wichtigsten ist demnach den Kandidaten, dass sie sich auf einfache Art bewerben können. Darunter verstehen sie die elektronische Übermittlung der Unterlagen über verschiedene Geräte. Dann folgen die eindeutige Stellen- und Anforderungsbeschreibung sowie eine klare und zeitnahe Kommunikation zum Stand der Bewerbung. Zeitnah bedeutet für jeden Zweiten eine Zeitspanne von drei bis fünf Werktagen. Die Dauer der Reaktion vom Unternehmen ist für Bewerber entscheidend: sie verschafft den Kandidaten das Gefühl, korrekt beurteilt zu werden und sie gibt ihnen die erwartete Wertschätzung. Alles über diese Frist hinaus reduziert die Chancen, den Wunschkandidaten einstellen zu können.
Onboarding birgt Potential
Ist einem Arbeitgeber dieser erste Schritt gelungen, beginnt die anspruchsvolle Aufgabe, den neuen Mitarbeiter ins Unternehmen zu integrieren und eine Basis dafür zu schaffen, dass er auch bleibt – das sogenannte Onboarding. Dies kann ein strukturierter Prozess sein, der in der Anfangszeit Orientierung bietet. Oder der Neue muss sich irgendwie selbst zurechtfinden. In Deutschland war nur jeder zweite Bewerber mit diesem Prozess zufrieden. Dabei entscheiden die ersten 90 Tage darüber, ob der neue Mitarbeiter bleibt oder geht. „Leider wird das Onboarding immer noch zu stark unterschätzt. Es sollte selbstverständlich sein, dass neue Mitarbeiter professionell in ihren Aufgabenkreis und ins Unternehmen eingeführt werden. Selbstredend muss der Arbeitsplatz ab dem ersten Arbeitstag verfügbar und mit allem ausgestattet sein, was der neue Kollege braucht. Eines ist klar: Mit professionellem Onboarding können sich Unternehmen in Deutschland nach wie vor gut vom Mitbewerb abheben.“, sagt Vesterling.
Gastautor: Diplom-Betriebswirt Peter Ilg, Journalist (Management, Karriere, Informationstechnologie)